Fit zum lernen
Das Lernen fällt nicht immer leicht. Wenn reife Menschen während oder nach ihrer Arbeitsphase wieder anfangen zu studieren, lässt ihr Lernerfolg in der Regel anfangs noch zu wünschen übrig. Dennoch können sich auch reife Menschen schon nach kurzer Zeit Lerninhalte leicht einprägen.
Wer mit der falschen Lerntechnik lernt, wird mit mehr Mühsal lernen und weniger Erfolg beim Behalten des Gelernten haben. Dann erhöht sich die Ablenkungsbereitschaft und die Lust am Lernen wird immer geringer. Das kann so lange gehen, bis das Studium vorzeitig abgebrochen wird. Die Begründung ist dann fast immer: “Der Stoff ist zu schwer für mich – Ich kann das nicht” Tatsächlich brauchen Erwachsene nur einige wenige Regeln zu beachten und haben guten Lernerfolg.
Wie lernen die meisten Erwachsenen?
Die meisten Erwachsenen lernen, indem sie die Lehrbücher einfach lesen. Diese Personen brauchen sich nicht zu wundern, dass viel zu wenig in ihrem Gedächtnis hängen bleibt. Das ist also nicht der richtige Weg.
Wer sich Lernstoff aneignet, weiß sofort nach dem Lesen noch 60-70 Prozent dessen, was er soeben gelesen hat. Bei einem Langzeit-Test konnten die Probanden direkt nach dem Lesen 67,9 % der Fragen richtig beantworten. Die Speicherung des Textes und das Wissen über den Text wird geringer und nach einiger Zeit können Lernende nicht einmal mehr 50 % der Fragen richtig beantworten. In der Praxis vergessen die meisten Menschen schon am Ende des Tages einen Großteil ihrer Lektüre. Das Meiste geht vom aktiven Wissen in den passiven Teil des Gedächtnisses über. Damit können Personen in Gesprächen über das Lesethema einem Redner noch zustimmen. Das gespeicherte Wissen reicht aber nicht mehr aus, dass sie aktiv mitreden könnten.
Das lässt sich im täglichen Leben ganz einfach nachvollziehen. Wissen Sie am Ende eines Tages noch, was Sie im Laufe des Tages gelesen haben?
Kurve des Behaltens 1: Bei einem Langzeit-Test (über 10 Jahre) konnten 863 Probanden sofort nach dem Lesen 67,3 % der Fragen richtig beantworten (Range zwischen 62,0 und 71,3 %).
Der Behaltensprozentsatz sinkt von 60-70 % sofort nach dem Lesen bis zum Ende des Tages (ca. 20%) und tendiert schon nach wenigen Tagen gegen 2 %. Das zeigt die rote Kurve. Ein kleiner Teil bleibt immer haften.
Wenn jedoch nur ein so geringer Teil des Gelesenen haften bleibt, lohnt sich das Lernen auf diesem herkömmlichen Weg nicht. Für das effiziente Lernen müssen weitere Lernschritte hinzukommen. Der erste Schritt ist das Kurzzeit-Lernen.
Kurzzeit-Lernen für kurzfristig wichtige Wissensinhalte
Wer seinen Lernstoff auch am Abend noch wissen will, braucht einen kleinen weiteren Lernschritt direkt nach dem Lesen. Das Gedächtnis benötigt nicht nur einen Moment Zeit, das soeben Gelesene zu verarbeiten. Vielmehr ist die Vernetzung mit einem Oberthema oder anderem schon vorhandenem Wissen wichtig. Anstatt sofort den nächsten Absatz zu lesen, sollte der erwachsene Lerner sich überlegen, was er soeben gelesen hat und es gedanklich in eigenen Worten zusammenfassen. Diese Zusammenfassung in eigenen Worten könnte beispielsweise bei einem Absatz zur Funktion des Dieselmotors lauten: “Aha, der Selbstzünder komprimiert also das Diesel-Luft-Gemisch auf einen Wert von 1:15. Aufgrund des Druckes im Zylinder explodiert das Gemisch und treibt den Kolben in Richtung Kurbelwelle.”
Bei der Zusammenfassung sollte nicht auf den Text geschaut – sie sollte auswendig gesagt werden. Dann ergibt sie ein erheblich besseres Behalten. Danach kann der nächste Absatz gelesen werden mit ebenfalls einer kurzen Pause für die gedankliche Zusammenfassung.
Sicher kennen Sie den Komiker Otto Waalkes. In einem seiner Sketche setzt er sich eine Brille auf und spielt einen Pastor mit den theatralischen Worten: “Was soll uns diese Geschichte sagen?” Im übertragenen Sinne machen Sie bitte das Gleiche mit Ihrer Lektüre.
Kurve des Behaltens 2:Wenn innerhalb von bis zu 30 Minuten der Lesestoff wiederholt wird, steigt das Behalten des Gelesenen kurzfristig auf ca. 80 % an. Bis zum Ende des Tages sinkt dieser Prozentsatz wieder und befindet sich am Abend nur geringfügig über der Behaltenskurve.
Das Ziel ist, den Lernstoff in anderer Form Ihrem Gedächtnis erneut anzubieten.
Diese Lernart ist ideal für das Rekapitulieren vor wichtigen Gesprächen, Besprechungen und Vorträgen. Sie lässt sich für die Praxis erweitern und übertragen auch auf das erheblich spätere Wiederholen des Lernstoffes wie es z.B. vor Prüfungen geschieht. Wenn ehemalige Prüflinge befragt werden über ihr Lernverhalten vor Prüfungen, so sagen viele, dass sie erst kurz vor der Prüfung mit Wiederholen angefangen haben. Offensichtlich hat das jedoch bei einigen gereicht, die Prüfung akzeptabel zu bestehen. Das gilt jedoch nicht für alle Prüflinge und nicht für alle Lernstoffe. Zum individuellen Behalten in verschiedenen Situationen und dem Verhalten und bei schwierigeren Lernstoffen kommen wir weiter unten.
Langzeit-Lernen für langfristige Wissensinhalte:
Während beim Kurzzeit-Lernen der Lernerfolg für die nächsten Stunden garantiert ist, soll das Langzeit-Lernen auch in einigen Wochen und Monaten den Lernstoff dem Gedächtnis zur Verfügung stellen. Das bedeutet, wir beschäftigen uns erneut mit dem Lernstoff. Dieses erneute Beschäftigen muss auf anderen Wegen als bisher geschehen. Bitte lesen Sie den zu lernenden Text nicht erneut. Täten Sie das, erinnerten Sie sich zwar an die bekannten Inhalte wieder – diese würden aber nicht mehr oder nur geringfügig länger im Gedächtnis haften bleiben. Statt dessen würden Sie schon bei den ersten Sätzen gedanklich abschweifen und keinen der wichtigen Inhalte im Gedächtnis behalten. Kommt Ihnen dieser Effekt bekannt vor?
Kurve des Behaltens 3: Wenn nach einiger Zeit der Lesestoff erneut erarbeitet wird, steigt die Behaltenskurve kurzfristig wieder stark an. Zusätzlich ist am Ende des Tages erheblich mehr im aktiven Gedächtnis, als es ohne diese Wiederholung wäre.
Konkret heißt Langzeit-Lernen, dass wir den Text erneut durchdenken, um die Inhalte für längere Zeit zu wissen. Dabei ist es extrem wichtig, den Text nicht nur erneut zu lesen. Es darf keinesfalls das Gleiche mit dem Text erneut geschehen, was Sie schon zuvor gemacht haben. Würden Sie das tun, erinnerte sich Ihr Gehirn an diesen schon früher gelesenen Text, würde ihn als schon bekannt abhaken und abschalten. In der Praxis hat Ihr Gehirn kein Interesse mehr an dem Inhalt dieses Textes und Sie schweifen Sie dann gedanklich ab. Ihr Gehirn will immer mit Neuem, Interessantem konfrontiert werden – nur dann sind die Textinhalte für Ihr Gehirn interessant. Nur dann werden Sie auch die Textinhalte behalten.
Wie machen Sie die Textinhalte für unser Gehirn interessant? Nur dadurch, dass Sie bei der Wiederholung etwas anderes mit dem Text machen, als Sie es vorher taten. Etwas Anderes könnte sein:
Sie markieren oder unterstreichen gezielt Teile des Textes. Natürlich wählen Sie dabei die wichtigen Textteile aus.
Sie lesen nur das Markierte oder Unterstrichene und schließen davon auf das Ganze. Während Sie bei 1. den Text reduziert haben auf das absolut Wichtigste, erweitern Sie jetzt vom Markierten den Textinhalt auf den Rest, auf das, was Sie nicht markiert haben.
Sie notieren wichtige Begriffe am Rand, auf ein extra Blatt oder eine Karteikarte. Sicher haben Sie beim lesen von Wichtigem ein Blatt neben sich, um Wichtiges zu notieren. Sie können auch wichtige Passagen wie z.B. Formeln oder Paragrafen in einem Heft (wie Vokabelheft) notieren.
- Beispiele ausdenken. Beispiele bleiben in Ihrem Gedächtnis leichter und länger haften.
- Paraphrasieren = Sinnverwandte Begriffe bilden. Das machen Sie übrigens regelmäßig beim Vokabeln lernen.
- Mini-Zeichnungen oder -Grafiken zeichnen. Wenn Sie wichtige Zahlen lesen wie Umsatzzahlen, setzen Sie die bitte um in eine Grafik-Skizze. Die Bewegung Ihrer Hand beim Erstellen der Grafik bleibt in Ihrem Gedächtnis haften.
- Neue Informationen mit bekanntem Wissen vernetzen. Überlegen Sie sich, was Sie von dem soeben Gelesenen noch von Früher wussten. Was war schon bekannt und was ist neu für Sie?
- MindMap anfertigen. Wenn Sie schon einmal mit der MindMap Technik konfrontiert wurden, praktizieren Sie diese. Erstellen Sie sich eine MindMap über das Kapitel oder den Artikel, den Sie gelesen haben.
Besonders wichtig sind die Bereiche 3. (Notizen) und 8. (MindMap Technik). Es ist für das bessere Lernen extrem wichtig, sich Notizen zu machen. Sicher haben Sie sich in der Schulzeit für bestimmte Arbeiten einen Spickzettel gemacht. Wahrscheinlich ist Ihnen aufgefallen, dass Sie den Spickzettel während der Arbeit gar nicht benutzen mussten. Sie wussten alles auf dem Spickzettel stehende auswendig, weil Sie sich mit dem Inhalt zu Hause schon ausgiebig beschäftigt hatten. Wenn das stimmt, brauchen Sie sich nur Notizen zu dem Lesethema zu machen und können die Notizen anschließend vernichten. Sie haben sie ja im Gedächtnis.
Sie wissen, dass ein Bild mehr sagt als 1000 Worte. Eine MindMap ist vergleichbar mit einem Bild. Dieses Bild bleibt erheblich leichter und auch länger im Gedächtnis haften, als einzelne Wörter oder Zahlen. Daher sollten Sie sich Beispiele ausdenken oder
Sie brauchen nicht alle 7 Punkte für das bessere Behalten des Textes zu praktizieren. In der Regel reicht schon das Markieren der wichtigen Begriffe aus dem Text aus.
Die gezielte Wiederholung verankert Wichtiges
Bei mancher Literatur reicht das einmalige Lesen und schon im Gedächtnis verankert haben nicht aus. In Ausnahmefällen oder bei extrem wichtiger Literatur reicht auch das Markieren nach dem Lesen nicht mehr. Wer lernt, obgleich er sich in einer Stress-Situation befindet, wer sich sehr schwierige Literatur langfristig merken muss und wer kein Interesse an dem zu lernenden Thema hat, der muss weitere der oben beschriebenen Möglichkeiten praktizieren. Eine zusätzliche MindMap zu dem Lernthema ist sehr hilfreich. Auch das Erstellen einer Datei oder das Notieren von Wichtigem auf Karteikarten erzeugt einen hohen Behaltenseffekt.
Wenn Sie sich ein Beispiel überlegen hilft das sehr. Juristen merken sich bestimmte Paragrafen erheblich leichter durch bestimmte Beispielfälle, die diesbezüglich schon von Gerichten entschieden wurden. Aufgrund der Beispielfälle fällt es erheblich leichter, auf den Inhalt des Paragrafen zu schließen.
Allen vorherigen Empfehlungen ist gemeinsam, dass mit den Leseinhalten gearbeitet wird. Der interessierte Leser muss die wichtigen Teile seiner Lektüre bearbeiten.
Die Arbeit mit den Leseinhalten erzeugt besseres Behalten.
Kinder können noch gut auswendig lernen, Erwachsenen fällt es eher schwer. Bei Erwachsenen bedeutet Lernen nichts anderes, als etwas zu durchdenken. Wer sich also über seine Lektüre Gedanken macht, wird den Inhalt anschließend wissen. Je schwieriger der Inhalt zu verstehen ist und je abstrakter der Inhalt ist, desto bessere Wiederholungstechniken müssen Sie anwenden. Wählen Sie selbst aus dieser Reihenfolge des besseren Behaltens. An 1. Stelle stehen die Techniken, die leicht zu praktizieren sind, an 2. Stelle diejenigen, welche sehr effektiv sind, aber etwas mehr Zeitinvestition bedeuten und an 3. Stelle die immer noch effektiver sind als würden Sie gar nichts machen.
Leicht zu praktizieren wie:
- Markieren oder unterstreichen
- Markiertes/Unterstrichenes lesen und aufs Ganze schließen
- Wichtige Begriffe notieren
- Neue Informationen mit bekanntem Wissen vernetzen
Effektiv mit etwas mehr Zeitinvestition wie:
- Beispiele bilden, Fallsituationen merken
- Paraphrasieren
- Mini-Zeichnungen oder -Grafiken zeichnen.
- MindMap anfertigen.
Kinder können noch auswendig lernen. Für die meisten Erwachsenen bedeutet auswendig lernen erheblichen Zeitaufwand, Frust und schlechte Ergebnisse. Wenn Erwachsene also lernen, so bedeutet das, sie durchdenken ihren Lernstoff.
Lernen = Durchdenken
Wenn insbesondere erwachsene Lerner hier das empfohlene Verhalten praktizieren, werden sie erheblich mehr im Gedächtnis behalten, als ohne diese Wiederholungen. Zusätzlich wird Ihnen das Lernen wieder Spaß machen.
[Autor: Dr. Fred N. Bohlen]